Der Kubaner José Raúl Capablanca entriss 1921 in Havanna dem deutschen Dr. Emanuel Lasker nach dessen 27 jähriger Herrschaft über die Schachwelt den Titel. Später sollte Lasker sagen "Ich habe viele Schachspieler gekannt aber nur ein wirkliches Genie [...] und das war Capablanca." Als Capablanca 1909 als 20-jähriger eine Gastspielreise durch 27 amerikanische Städte antrat und von 602 Simultanpartien nur 13 verlor, 18 remisierte und 571 gewann war er in den USA ein neues Idol. Zum perfekten Triumph fehlte ihm lediglich ein Sieg über den amerikanischen Landesmeister Frank Marshall. Dieser glaubte gegen den kleinen kubanischen Jungen leicht zu gewinnen, war er doch schließlich schon gegen die weltbesten Spieler Lasker und Tarrasch angetreten, doch welch ein Irrtum. Capablanca gewann sensationell mit acht Siegen, einer Niederlage und 14 Remisen diesen Wettkampf und wurde seither in den USA "der kubanische Morphy" genannt und in seiner Heimat bis zum heutigen Tage als Nationalheld gefeiert. Nachfolgend die sechste Partie des Wettkampfes.
1.e4
e5
2.Sf3
Sc6
3.Lb5
eine spanische Partie. Später im Wettkampf sollte Marshall das heute nach ihm benannte Marshall-Gambit entdecken. Capablanca jedoch fand intuitiv die richtige Verteidigung und gewann auch diese Partie.
3...d6
4.c3
Lg4
Nach heutigem Stand der Eröffnungstheorie fragt sich mach Einer an dieser Stelle wohl, was der Läufer hier soll.
5.d3
Le7
6.Sbd2
Sf6
7.0-0
0-0
8.Te1
h6
Ist ebenfalls ein Zug, bei dem sich manch einer die Frage stellt, wozu?
9.Sf1
Sh7
10.Se3
Lh5
#
11.g4!?
Eine interessante Idee von Capablanca. Die Stellung ist geschlossen, sodass der Vorstoss des g-Bauern und die damit verbundene Auflösung des Bauernschildes des weissen Königs eine untergeordnete Rolle Spielt. Wichtiger ist, dass der Läufer nach g6 gezwungen wird, was dem weissen Springer ein ideales Feld auf f5 beschert.
11...Lg6
12.Sf5
h5?!
öffnet das Spiel an dem Flügel, an dem Weiß ohnehin angreifen will. [ein wenig besser war vielleicht 12...Sg5
mit dem Versuch ein paar Figuren zu tauschen um die Stellung ein wenig zu vereinfachen.]
13.h3
[Es bieten sich hier bereits taktische Möglichkeiten, doch Capablanca hatte andere Pläne. 13.Lxc6!?
bxc6
(falls: 13...Lxf5
dann einfach: 14.gxf5
bxc6
und: 15.d4!?+/=
) 14.Sxe5!
dxe5
15.Sxe7+
Dxe7
16.gxh5
Lxh5
17.Dxh5+/-
]
13...hxg4
[13...Lg5
]
14.hxg4
Nun ist die h-Linie offen, die Schwarz letzten Endes zum Verhängnis wird.
14...Lg5
15.Sxg5
Sxg5
16.Kg2
d5
Schwarz versucht den Angriff am Flügel mit einem Gegenstoß im Zentrum zu kontern.
17.De2
[17.exd5?
Dxd5+-/+
]
17...Te8
schafft dem König ein wenig mehr Platz.
18.Th1
und nun besetzt Weiß die offene Linie, ganz nach Plan.
18...Te6?
Scheint ein Fehler zu sein.
19.De3
[Es ist nicht davon auszugehen, dass beide Spieler die folgende Fortsetzung übersehen haben. Vermutlich war sich Marshall der positionellen und strategischen Stärke seines Gegners bewusst und wollte die Partie in etwas taktischere Bahnen leiten, Capablanca jedoch hatte andere Pläne. 19.Lxg5!
Dxg5
20.exd5+-
Es ist jedoch fraglich ob die etwas offene Königsstellung von Weiß genügend Kompensation für das Qualitätsopfer bietet. 20...Lxf5
21.dxe6
Lxe6
(oder aber: 21...Lxg4
22.De3!
Dg6
23.exf7+
Dxf7
(falls: 23...Kxf7
so genügt das einfache 24.Dg3
) 24.Lxc6
bxc6
25.Th4
und wieder kann sich Weiß nicht beklagen.) 22.Lxc6
bxc6
23.Th5
und Weiß hat keinerlei Probleme.]
19...f6
erzwungen. Der Springer ist gedeckt, doch nun bieten sich neue Möglichkeiten auf der Diagonalen b3-g8.
20.La4
Se7
21.Lb3
besetzt die besagte Diagonale.
21...c6
22.Dg3
a5
ein verzweifelter Versuch auf Gegenspiel.
23.a4
Sf7
24.Le3
und alle weißen Figuren sind entwickelt. Nun kann Weiss seinen Plan in der h-Linie ausführen.
24...b6
25.Th4
[interessant war hier auch 25.f4!?
mit der Idee Sxe7+ nebst f5. 25...exf4
26.Lxf4
Se5
27.Dh3
Kf7
28.Tae1+/-
mit klarem Vorteil für Weiß.]
25...Kf8
26.Tah1
[26.f4!?
war wieder möglich.]
26...Sg8
Ein Zug, der sicherlich nicht leicht fiel.
27.Df3
nutzt unverzüglich aus, dass der Springer auf g8 nun nicht mehr den Bauern d5 deckt.
27...Lxf5
28.gxf5
Td6
Schwarz hat nun endlich den lästigen Springer auf f5 beseitigt, doch er kommt vom Regen in die Traufe.
29.Dh5
[auch möglich und vielleicht sogar etwas stärker war hier 29.Th7!
was das die Schwäche g7 ins Visier nimmt, jetzt, da auch noch die g-Linie gegen den schwarzen König geöffnet ist. Falls nun 29...Sg5
dann einfach 30.Lxg5
fxg5
31.T1h5+-
mit klarerm Vorteil.]
29...Ta7
30.Dg6
Sfh6?
# Die Zeit ist gekommen aus dem großen positionellen Vorteil taktisch Kapital zu schlagen. [zäher war 30...Se7
; oder 30...Sg5
]
31.Txh6!
Wie so oft sind derartige taktische Möglichkeiten die zwangsläufige Folge einer überlegenen positionellen Stellung. [ebenfalls möglich war 31.Lxh6
Sxh6
32.Txh6
gxh6
33.Txh6+-
]
31...gxh6
[31...Sxh6
32.Lxh6
gxh6
33.Txh6+-
]
32.Lxh6+
Ke7
33.Dh7+
Ke8
34.Dxg8+
Kd7
35.Dh7+
De7
36.Lf8!
Dxh7
37.Txh7+
Kc8
38.Txa7
und Schwarz gab auf. "Das war eine meiner besten Partien." sollte Capablanca zehn Jahre später sagen. "Capablanca lebte wirklich von seinem Naturtalent, was der Andere in einem Monat nicht sah, das sah er in einem Augenblick." schrieb Fine über Capablanca. "Schach war wahrlich seine Muttersprache." Capablanca sagte einst "Ich weiss nicht warum ich diesen Zug mache, aber ich weiss, dass er gut ist." 1-0