Botvinnik kämpfte öfters als jeder andere Weltmeister um den Titel, gewann und verlor ihn mehrere Male, nicht zuletzt dank seiner exzellenten, analytischen Fähigkeiten, die Natur des Spiels seiner Gegner zu verstehen. Botvinnik gilt als einer der Begründer der spezifischen Wettkampfvorbereitung und pflegte die Partien seiner Gegner akribisch genau zu studieren um die Schwächen seiner Widersache aufzudecken und für sich nutzen können. Neben seinen exzellenten Zweikampf Ergebnissen gewann Botvinnik eine Vielzahl an stark besetzen Turnieren wie zum Beispiel das AVRO Turnier 1938 in Holland, bei dem sich die großen Meister ihrer Zeit miteinander messen durften. In der folgenden Partie der 11. Runde führte Botvinnik die weißen Steine gegen niemand geringeren als den ehemaligen kubanischen Weltmeister Capablanca und spielte, wie Kasparov es ausdrückte, "das Spiel seines Lebens".
1.d4
Sf6
2.c4
e6
3.Sc3
Lb4
4.e3
d5
[flexibler ist: 4...0-0
; oder: 4...c5
]
5.a3!
Lxc3+
6.bxc3
c5
7.cxd5
exd5
8.Ld3
0-0
9.Se2
Diese Zugfolge hat sich in der Theorie als die Botvinnik Variante im Rubinstein System etabliert. Heutzutage ist bekannt, dass die Frühzeitige Bestimmung der Situatiuon im Zentrum von Schwarz dem Weißen zusätzliche Möglichkeiten überlässt die Initiative an sich zu reissen. Zu der Zeit jedoch befanden sich beide Spieler auf unbekanntem Terrain. Die Art und Weise der genauen Entwicklung im Nimzo-Inder wurde gerade erst ergründet.
9...b6
[9...Sc6
]
10.0-0
Die unangenehmste weiße Figur ist der Läufer auf d3, den Schwarz verständlicher Weise abzutauschen versucht. - Botvinnik. [10.a4
]
10...La6
Nach den Standards der 1920-30er Jahre hat Schwarz absolut nichts, worüber er sich beschweren könnte. Eine solide Bauernstruktur, zufriedenstellende Entwicklung und keine merklichen Schwächen. Weiß hat keine einzige konkrete Drohung. Botvinnik jedoch sah, dass er in dieser Struktur mit f2-f3 nebst e3-e4-e5 ein starkes Angriffsspiel am Königsflügel aufziehen kann. Unwahrscheinlich?! Zumindest nach Meinung des großen Capablanca.
11.Lxa6
[De Erfahrung hat gezeigt, dass das direkte f3 etwas genauer ist, da die Dame ohnehin auf d3 landet und der Springer auf b8 immernoch unentwickelt bleibt. Zum Beispiel: 11.f3
Lxd3
12.Dxd3
Te8
(12...Sc6?
13.e4
) 13.Sg3
Sc6
14.Lb2
(14.Ta2!?
Tc8
15.Te2
) 14...c4
15.Dd2
Dd7?!
(eine schärfere Alternative ist: 15...b5
16.Tae1
a5
17.e4!
b4!
18.e5
Sd7
19.f4!
) 16.Tae1
h5?!
17.e4
g6
18.Lc1!
Sh7
19.Dh6
Te6
20.f4!
Se7
21.f5!
mit starkem Angriff. [Kasparov - Ivanovic, Niksic 1983]]
11...Sxa6
12.Lb2?!
Pioniere sind dazu verdammt Fehler zu begehen - Kasparov. [korrekt ist: 12.Dd3!
Bei der Ausführung eines tiefen strategischen Plans ist die Zugreihenfolge von entscheidender Bedeutung. Heutzutage ist es einfach eine Variante Zug für Zug zu verbessern, damals jedoch war es eine beachtliche Leistung eine tiefgehende weit geplante Strategie neu zu entwickeln.]
12...Dd7
13.a4
erzwungen, da Schwarz nach 13. Dd3 Da4! den Damenflügel blockieren kann.
13...Tfe8?!
Ein überraschender Fehler von Capablanca. - Botvinnik. [besser ist: 13...cxd4
14.cxd4
Tfc8
mit der Idee ...Tc4, was Weiß dazu zwingt seinen Plan zu ändern.]
14.Dd3
c4?!
ist bereits ein ernsthafter positioneller Fehler. # Schwarz war augenscheinlich in der Annahme, Weiß sei daran gehindert seinen e-Bauern vorzuziehen, und dass die schwarze Offensive am Damenflügel mit dem Manöver Sa6-b8-c6-a5-b3 und dem schwierig zu verteidigenden a-Bauern ausreichend ist. In Wirklichkeit ist der schwarze Vorteil am Damenflügel jedoch nicht sehr bedeutsam, wohingegen sich der e3-e4 Durchbruch als hocheffektiv erweist. - Botvinnik. Capablancas Entscheidung hat klar hostorische Hintergründe. In seiner langen Karriere wurde der 50 Jahre alte Ex-Weltmeister nie mit derartigen "latenten dynamischen Faktoren" in einer Partie konfrontiert, sodass ihn seine einzigartige Intuition und sein Reichtum an Erfahrung auf einen falschen Pfad führte. Zu diesem Zeitpunkt startete Capablanca einen, wie er es ausdrückte "Kampf der Psyche". Er wollte gewinnen! - Kasparov. [14...Db7
]
15.Dc2
Sb8
16.Tae1
[nicht so stark wäre gewesen: 16.La3
Sc6
17.Lb4
; interessant war jedoch hier schon: 16.Sg3!?
]
16...Sc6
[16...Sh5!?
]
17.Sg3
Sa5
[falls nun: 17...Se4
so folgt: 18.Sh1!
und Weiß kann seinen Plan in jedem Fall austragen. Zum Beispiel: 18...f5
19.f3
Sd6
20.La3
g6
21.Sg3
gefolgt von dem nicht mehr abzuwendenden e3-e4.]
18.f3
Sb3
und beide Spieler sind glücklich. Der a4-Bauer fällt und der Durchbruch e3-e4 wird endlich realisiert.
19.e4
Dxa4
20.e5
Interessanter Weise entstand die gleiche Position mit dem Läufer auf a3 in [Botvinnik - Alexander, USSR-Great Britain Radio Match, 1946] und [Euwe - Denker, Groningen 1946].
20...Sd7
[natürlich nicht: 20...Sc5?
21.Te2!
]
21.Df2
erzwungen in Anbetracht der Drohung ...Sbc5, was die Position des Springers verbessert hätte. - Botvinnik.
21...g6
22.f4
f5!?
erzwingt die Öffnung der e-Linie und den Abtausch der Türme. Einen anderen Weg zum schwarzen König gibt es ohnehin nicht.
23.exf6
Sxf6
24.f5
Txe1
25.Txe1
Te8!
mit einem taktischen Kniff reduziert Capablanca die Angriffsresourcen des Weißen. [25...Tf8?
26.Df4!
Da2
(26...Dd7
27.Te6!
) 27.fxg6!
Dxb2
(27...hxg6
28.Dg5
) 28.g7!
Kxg7
29.Sf5+
Kh8
(29...Kg8
30.Dg3+
) 30.Dd6
Tf7
31.Dxf6+!
]
26.Te6!
die einzige Chance! [Der Springer f6 ist indirekt verteidigt: 26.fxg6
hxg6
27.Txe8+
Sxe8
]
26...Txe6
Schwarz hat keine Alternative. [26...Kg7?
27.Txf6!
Kxf6
28.fxg6+
Kxg6
(28...Ke7
29.Df7+
Kd8
30.g7+-
) 29.Df5+
Kg7
30.Sh5+
Kh6
31.h4!
Tg8
32.g4
Dc6
33.La3!
nebst Matt in 3.]
27.fxe6
Nachdem der f-Bauer es irgendwie geschafft hat im brennenden Feuer des Angriffs nicht unterzugehen erfüllt er nun all die weißen Träume.
27...Kg7
28.Df4
De8
die Dame muss zurück. [28...Da2?
29.Sf5+!
mit Matt in 5.]
29.De5
[ernsthaft zu beachten war: 29.Dc7+!?
Kg8
30.De5
was eine ganze Reihe sehr komplizierter Varianten vermeidet, die ansonsten möglich waren.]
29...De7?
ein fataler Fehler. # [Eine sehr zähe Verteidigungsmöglichkeit bot: 29...h6!
was Weiß extreme Schweirigkeiten bereitet zu gewinnen. Eine ausführliche Analyse ist in "Garry Kasparov - My Great Predecessors, Band 2" zu finden.]
30.La3!!
Ablenkung! Während der erste kleine Schritt des Läufers eher wie ein nicht allzu lustiger Witz aussah, gibt dieser zweite Schritt allen Anlass zu einem ernsthaften Drama. Der Kamikaze-Läufer zwingt die Dame dazu ihren König seinem Schicksal zu überlassen und dem glücklichen e-Bauern den Weg freizumachen. Amüsanter Weise wurde diese Stellung während der Olympiade 1954 in Amsterdam auf einer Riesentorte in einer der zentralen Konditoreien abgebildet.
30...Dxa3
[30...De8
31.Dc7+
Kg8
32.Le7
Kg7
(32...Sg4
33.Dd7+-
) 33.Ld8+
Kg8
34.Lxf6+-
]
31.Sh5+!
gxh5
[oder: 31...Kh6
32.Sxf6!
(auf keinen fall jedoch: 32.Dxf6?
Sd2!
und Schwarz kann alles zusammenhalten.) 32...Dc1+
33.Kf2
Dd2+
34.Kg3
Dg5+
35.Sg4+!
]
32.Dg5+
Kf8
33.Dxf6+
Kg8
"Ich saß auf meinem Platz und machte mir Gedanken über die genaueste Zugfolge" erinnerte sich Botvinnik. "Äüßerlich bewahrte Capablanca die Fassung und ging auf der Bühne auf und ab als Euwe zu ihm hinauf kam und ihn fragte wie es denn so laufe. Capablanca gab mit einigen Gesten seiner Hände zu verstehen, dass noch alles möglich sei, offensichtlich in der Hoffnung, ich würde diese Unterhaltung beobachten. Der brilliante und ebenso praktisch orientierte Capablanca zog seine letzten psychologischen Trümpfe: der Versuch seinem müden Widersacher vorzugaukeln, die Stellung sei unklar, ihn dazu verleiten in der Aufregung einen Fehler zu begehen."
34.e7
[ebenfalls ausreichend war: 34.Df7+
Kh8
35.g3!
(auf keinen Fall jedoch: 35.e7?
Dc1+
36.Kf2
Dd2+=
mit Dauerschach.) ]
34...Dc1+
35.Kf2
Dc2+
36.Kg3
Dd3+
37.Kh4
De4+
"Capablanca zog instantan um die dir Zuversicht meines Gegners vor Augen zu halten. Seine letzte Hoffnung war, dass Weiß in der Zeitnot von einem Damentausch absieht und sich mit Dauerschach zufrieden gibt." - Botvinnik.
38.Kxh5
De2+
[es hilft alles nichts: 38...Dg6+
39.Dxg6+
hxg6+
40.Kxg6+-
]
39.Kh4
De4+
40.g4
ist noch einfacher als Kh3.
40...De1+
41.Kh5
und es gibt kein Schachgebot mehr - Schwarz gab auf. "Die Halle bricht in schallenden Applaus aus. Ein seltenes Bild, is es doch normalerweise nur Max Euwe, der vom holländischen Publikum derart gewürdigt wird." "Nach meinen beiden Siegen über Aljechin und Capablanca" erinnert sich Botvinnik "begann ich mit Verhandlungen einen Zweikampf um den Weltmeistertitel betreffend. Unsere Unterhaltung fand bei einer Tasse Tee und in guter Gesellschaft des Meisters Flohr im Carlton Hotel in Amsterdam statt, wo Aljechin alleine wohnte um Capablanca aus dem Weg zu gehen. Aljechin, der nach dem Turnier bemerkte: 'In nur einer meiner 14 Partien hatte ich das Gefühl überspielt worden zu sein und das war meine Partie mit Botvinnik in der siebten Runde.' gab sein Einverständnis dem Wettkampf in Moskau auszutragen. *